Ein Rückblick auf die ersten Jahre erfolgreicher Kooperation
Welche positive Wirkung an der Basis durch den im europäischen Rahmen einmaligen „Musikschultaler“ des Schleswig-Holstein-Musikfestivals erzielt wird, beleuchtet ein Besuch der Schleswiger Grundschule St. Jürgen. In dem multikulturell geprägten nördlichen Stadtteil stammen allein an der Grundschule mehr als die Hälfte aller 164 Kinder aus Zuwandererfamilien. Zwar sind Bildungs-Grundkenntnisse die unbedingte Basis im Unterricht der Lehrkräfte, allerdings fielen in regulären Stunden nach Lehrplan immer Kinder heraus, denn alle müssen mithalten können, für besondere Neigungen oder Befindlichkeiten ist hier nicht ausreichend Raum. So wundert es kaum, dass für die aus Mitteln des „Musikschultalers“ geförderte, attraktive Musik-AG eine lange Warteliste besteht. Einen besonderen Erfahrungsraum bietet die Grundschule hier in Kooperation mit der Kreismusikschule Schleswig-Flensburg: mit einer überraschenden Vielfalt an Instrumenten proben die Kinder eigenes Musizieren.
Größte Herausforderung für die Sieben- bis Neunjährigen ist jedes Mal: Innere Ruhe Finden, sich Konzentrieren und einander Zuhören beim Zusammenspiel! Für den Musikpädagogen Arne Frercks aus Schleswig, der das seit einem Jahr erfolgreiche Projekt fortsetzt, ist jede Stunde mit seinen Kursen ein Balanceakt. Es duftet aus dem Nebenraum nach dem Mittagessen der Schulküche – und die Kinder sprühen am Ende ihres Schultages immer noch vor Energie. „Wer hier zur Tür hereinstürmt in den Musikraum, ist ganz sicher neugierig auf die Welt der Klänge,“ weiß Frercks zu berichten, „allerdings ist die Konzentration auf eine einzige Aktion während unserer Musikstunde ein enormer Kraftakt, der manchmal von einzelnen Kindern gar nicht gleich geleistet werden kann.“
Immer wieder trudeln Klangstäbe zwischen den unruhigen Stuhlreihen, ringen Jungen wie Mädchen mit Ausbrüchen um Aufmerksamkeit, wollen ‚alleine-machen-dürfen’ und den Ton angeben. Ein langer Weg wird hier von engagierten Lehrkräften beschritten, neben Grundkenntnissen der Bildung überhaupt elementare Kompetenzen zu vermitteln. Frercks zeichnet ein klares Bild: „Wenn diese Kinder nicht wenigstens im Grundschulalter lernen, mit Konzentration und Aufmerksamkeit bei einer Sache zu bleiben, sich selbst und Andere in der Gruppe respektvoll wahrzunehmen – was werden das dann für Erwachsene?“
Sein Konzept für diese besondere Stunde klingt einfach: Zum einen Lust auf Musik Wecken, kindgerechten Zugang zu verschiedenen Instrumenten anbieten, Probieren lassen. Zum anderen Soziale Kompetenzen entwickeln Helfen, aufeinander Hören und im gleichen Rhythmus Musizieren Lernen. Frercks: „Allerdings hat fast jedes Kind einen unbändigen Impuls zu agieren und im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen zu wollen!“ In vielen eruptiven Situationen fängt seine ruhige, klare wie klärende Ansage die Kleinen immer wieder neu ein: Worum geht es hier? Was wollen wir gemeinsam erreichen? Sehr viel Zeit braucht dieser immens wichtige Lernprozess, dessen Strahlkraft stark in den Schulalltag und bis in die Familien wirkt. Wenn sich dann in der Folge einzelne Kinder aus der Musik-AG auf den Weg zum eigenen Instrument machen, wachsen sie schnell als neue Vorbilder aus den eigenen Reihen auf, wesentlich authentischer und prägender als jedes Kunstgebilde der allgegenwärtigen Medien. Schulleiterin Roder bestätigt: „Medien und technische Mittel für einen vermeintlich schnellen Erfolg beim Musikmachen haben viele Schüler oft selbst zu Hause!“ Der Weg für musikalische Lerneffekte sei in diesem besonderen Unterricht aber unmittelbarer, tiefer gehend am eigenen Körper spürbar und wird zu einer persönlichen Erfahrung.
Erklärtes Ziel der Grundschule St. Jürgen ist, eine fundierte Bildung mit kulturellem Basiswissen zu vermitteln, allerdings bedarf es, um Kopf und Herz der Schüler erreichen zu können, eines Mindestmaßes an innerer Ruhe, damit die Kinder sich überhaupt konzentrieren und miteinander vernünftig agieren können. Die kommissarische Schulleiterin Gabi Röder zieht ohne Zögern ein klares Fazit: Mit dem Musikprojekt vom „Musikschultaler“ ist ein ungemein wertvoller Impulsgeber für den Schulalltag gefunden worden. Diese Stunde passt harmonisch in das Gesamtkonzept, nach dem ihre Schule einen Schutzraum für die Kinder bieten will, den sie immer gern besuchen. Gabi Röder: „Aus unseren Schulkindern sollen starke Erwachsene werden können!“ Willi Neu, Schulleiter der Kreismusikschule Schleswig-Flensburg ergänzt: „Das Schleswig-Holstein-Musikfestival“ gibt uns mit dem „Musikschultaler“ seit vielen Jahren einen Schatz an die Hand, mit dem wir gerade bei den Kindern in der elementaren Musikpädagogik unserem Bildungsauftrag zielgerichtet nachkommen können. Dafür sind wir außerordentlich dankbar!“
„Würde diese besondere Stunde Musik-AG fehlen, wäre es eine weitere Stunde auf der Straße!“
Schulleiterin Gabi Roder schätzt die Situation ihrer Schützlinge nüchtern ein: Zwar leben die Kinder aus Zuwandererfamilien in der Regel in intakten Familienverbänden, in denen Sport, Bildung und gerade Musik einen hohen Stellenwert haben. Allerdings ist der Regelunterricht häufig problematisch, und unterschiedliche Traditionen im Jahresverlauf fordern besondere Aufmerksamkeit, denn „Feste egal ob christliche, russische wie muslimische führen schnell zu einem Auseinanderdriften. Hier müssen wir die Kinder immer wieder sehr sensibel zusammenführen!“ so Schulleiterin Roder.
„Überraschende Talente werden in unserer Stunde geweckt, die weiter gefördert werden sollen“
Das beliebte Rollenspiel „Dirigent“ mit dem rosa Zauberstab als Taktstock befriedigt zwar Begehrlichkeiten nach Bestimmen-Dürfen und Erster-Sein, allerdings kehren die Kinder in diesem entspannten Rahmen auch außerordentliche Begabungen spielerisch ans Tageslicht! Arne Frercks staunte über den zappeligen Leon: „In der Rolle des Dirigenten bewies er plötzlich Taktgefühl und führte die Gruppe mit guten musikalische Gespür – und Julia präsentierte beachtliche schauspielerische Seiten mit einer überaus großen Freude am Singen.“ Arne Frercks, Musikpädagoge und Heilpraktiker, setzt auch alternative Instrumente ein, sammelt hier die Kinder im Klangkreis
K.N.